Eckrentner

Was ist eigentlich ein “Eckrentner”?
Da hab ich mal wieder ein Wort aufgeschnappt, das höchst phantasievoll – wie soll’s anders sein – im wirtschaftspolitischen Wörterlabor zusammengeschmurgelt wurde.
Hat der Eckrentner was mit dem “Eckensteher Nante”, dem berühmten Berliner Dienstmann zu tun?
Nein – es handelt sich hier um den unbekannten, real kaum noch und bald gar nicht mehr existierende Berechnungsgrundlagenarbeitnehmertypus, der mit 16 in die Lehre gegangen ist, anschließend sofort fest eingestellt wurde und dann ohne Pause mit gut bezahltem Vollzeit-Gesellenlohn oder gehobenen Angestelltengehalt durchgemauert, gebohnert, geschraubt, niedere Arbeiter oder Angestellte beaufsichtigt oder Akten gelocht hat und nun als fiktiver Rentenbezugsnehmer herhalten muss. Und der kriegt soviel Rente, davon hab ich bei den meisten meiner Festanstellungen nur geträumt.  Wohlgemerkt: ‘der‘, denn Frauen gehören sowieso nicht in die Rechnung. Nicht nur, weil ihre Gehälter in der Regel zu niedrig für diese Berechnung sind,  Kinder kriegen darf man bei diesem Denkansatz auch besser nicht.

Aber – im Prinzip kann das bald jedem egal sein, weil sowieso die meisten auf Grundsicherung angewiesen sein werden, da sowieso kaum jemand mehr von seiner Rente leben können wird und die ergänzenden Vorsorgemaßnahmen vieler Menschen von einigen Banken vorsätzlich versenkt wurden…

"Dicker Mann" von Ron Mueck

Melancholischer Eckrentner?

Warum der Eckrentner aber so heißt, wie er heißt und was das mit einer Ecke zu tun hat, habe ich nicht herausbekommen…

Ein ‘Dienstmann’ jedenfalls war (vor allem in Wien, aber auch in Berlin) ein günstiger Leiharbeiter im sogenannten ‘Platzgewerbe’, mit Phantasieuniform und polizeilicher Konzessionsnummer. Der Dienstmann bot auf öffentlichen Plätzen oder an Straßenecken seine Dienste an. Diese Dienste umfassten in etwa: Botengänge (z.B. Paket zur Post bringen), Besorgungen (z.B. Theaterkarten für den Abend organisieren), Begleitungen (z.B. beim Gang zum Arzt oder Koffer zum Bahnhof tragen) und Beaufsichtigungen (z.B. beim Verladen von Waren).
Viele Dienstmänner frönten in der Wartezeit bis zum nächsten Auftrag dem öffentlichen Alkoholgenuss und verringerten damit natürlich ihre Anstellungschancen, was im Fall von Eckensteher Nante schließlich zum Selbstmord durch Erhängen führte.

Wie es Dienstmädchen/Leiharbeiterinnen im alten Wien erging, lässt sich recht lehrreich und unterhaltsam in der Erzählung “Der Kanal” von Veza Canetti nachlesen, denn hier betreibt die Dienstvermittlerin Hatvany ihr Geschäft mit den Mädchen und Frauen.

PS: Wann war noch mal der “Tag gegen die politische Lüge”?

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